< Pressestimmen: Fräulein Julie

Auf bitter-süsse Weise

Das Rasiermesser! Wie war das noch mal mit dem Rasiermesser? Nein, wir sind nicht in „Woyzeck“, sondern in Strindbergs „Fräulein Julie“, der Saisoneröffnung im Förnbacher Theater Basel, und doch: Das Rasiermesser lässt uns nicht in Ruhe. Jean, der Diener des Herrn Grafen, macht nach der Nacht mit der Grafentochter Julie eine fotogene Nassrasur. Er zückt das Messer, nimmt Rasierschaum, schäumt sich die Wangen ein, rasiert sich lustvoll und langsam. Das Messer gelangt in Julies Hände...

In Strindbergs Regieanweisung heisst es: „Das Fräulein geht entschlossen zur Tür hinaus“. Bei Verena Buss geht Julie auf den Balkon, in der Hand hat sie das kleine Inseltaschenbuch Nr. 1: Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Was passiert auf dem Balkon? Das bleibt auch in dieser Inszenierung offen.

Rilkes lyrische Romanze, lange die Lieblingslektüre der deutschsprachigen Jugend, ist eine ähnlich bitter-süsse Weise nach Leben, verbunden mit dem Tod. „Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht...“ Diese neoromantischen Verse passen tatsächlich gut zu der ganz ähnlich gelagerten Strindberg-Geschichte mit Aufstieg eines Lakaien und Abstieg einer Adeligen.

Regietrick funktioniert

Die lyrisch-rhythmisierte Prosa wird immer wieder eingeblendet, mit melancholisch-sanfter Stimme vorgetragen von der Regisseurin. Nur haben wir in diesem Einakter von Strindberg, den Verena Buss mit Rilke zusammenführt, nicht den jungen Cornet, sondern die junge Julie. Doch psychologisch sind sich die beiden Hauptfiguren recht nah in ihrer Liebessehnsucht, ihrer Illusionslosigkeit mit Blick auf die Zukunft. Also ein Regietrick, der funktioniert, und sehr unauffällig dieses naturalistische Schauspiel mit begleitet.

Wie ist nun die Basler Julie? Ist sie eine mannstolle Grafentochter, die auf Teufel komm raus mit dem schönen jungen Mann kokettiert? Oder ist Joséphine Esskuche mehr eine freiheitsdurstige, lebenslustige junge Frau? Sie kommt einem eher so vor, nicht als Typ liebestolle Frau. Aber immerhin spannt sie der braven Köchin (Sandra Schaub, lange im Topf rührend) den Verlobten aus.

Falk Döhler spielt in dieser Dreiecksgeschichte, die auch eine Klassengeschichte ist, den Diener Jean, der um die Standesunterschiede weiss und gehörigen Respekt vor seinem Brotgeber, dem Grafen, hat. Julie gehört zur absoluten Oberschicht, das merkt man ihrer Attitüde an. Nach der Ernüchterung ist sie ihm lästig und Jean kostet seinen männlichen Triumph aus. Das macht Döhler sehr sportiv: Der Domestik als Sportler. Teils kommt er einem vor wie im Boxring, was auch das rot-weisse Absperrband vorgaukelt. Eine starke Szene, wenn er verbissen die Stiefel seines Dienstherrn wienert.

Sandra Schaub ist das verständige, tüchtige Küchenmädchen Kristin, das einmal schlafwandelt, Joséphine Esskuche die befehlsgewohnte Adelige, die gern mit dem Feuer spielt. „Knecht ist Knecht“, wirft sie ihrem Geliebten für eine Nacht herablassend vor. Er pariert zynisch: „Und Hure ist Hure.“

Psychologisch ist sicher auch das Metronom gedacht, das unablässig tickt. Überhaupt beherrscht Verena Buss in ihrer 16. Produktion für die Förnbacher Theater Company die Technik der Charaktere und des Dialogs in ihrer Inszenierung ebenso wie subtil-unterschwellig die Mechanismen der Gesellschafts- und Sexualpsychologie.

An dem wunderbaren Spielort in der Theaterhalle des Badischen Bahnhofs Basel kann man diesen dichten und stimmungsvollen Einakter zum Auftakt der 23. Saison voll auf sich wirken lassen.