< Pressestimmen: Love Letters

Unerfüllte Liebe in Briefform

 

Unerfüllte Liebe in Briefform

Sie stammt aus reichem Haus, er aus gutem. Er ist korrekt, seriös, überlegt reiflich, verkörpert den amerikanischen Traum, lebt "political correctness" vor. Sie ist spontan, unkonventionell, eine Chaotin, zynisch und provokant, ein Künstlertyp, Malerin. Er schreibt gern Briefe, sie nicht. Aber wenn sie schreibt, dann ist ihr Stil lebendig, witzig, ironisch, sehr direkt. Er macht Karriere, wird Senator; sie bekommt das Leben nicht in den Griff, verfällt dem Alkohol. Eine Frau, ein Mann, ihre Briefe: "Love Letters" des amerikanischen Dramatikers A.R. Gurney ist eine Liebesgeschichte in Briefform, nicht weniger eine Liebeserklärung an die verlorengegangene Kunst des Briefeschreibens. Sie lieben und sie streiten sich auf dem Postweg: Andrew und Melissa reflektieren per Schriftwechsel Gefühle, Erlebnisse, Gedanken, Wünsche, Träume, Erinnerungen. Das Publikum lernt die beiden über ihre Briefe kennen. Ihr Schriftverkehr ist ein Dialog über das Leben. Ab den Briefchen im Schulunterricht, über Postkarten zu Weihnachten bis zu fröhlichen Urlaubsgrüßen hört man von der ersten Geburtstagsparty, dem Sommercamp auf dem Land, von Andys Studium an der Uni und seinen Militärdienst bei der Marine, von Hochzeiten, Scheidungen, Kindern und dem Tod von Melissa. Das Förnbacher Theater Basel hat sich dieses gefühlvollen Dialogstücks angenommen und zeigt die "Liebesbriefe" in einer Neuinszenierung. Aber so viel anders kann man es nicht machen: Am Bühnenrand liegen auf einem Tischchen zwei liebevoll mit farbigen Bändern verschnürte Briefstapel. Ein Sofa, zwei Fauteuils, auf denen Kristina Nel und Helmut Förnbacher Platz nehmen werden, um die Geschichten einer großen, aber unerfüllten Liebe aufzublättern. Die Briefe in der Hand, rezitieren sie die Texte ausdrucksstark, intim, mit Empathie für den anderen, und machen so die Figuren glaubhaft. Allein mit Vorlesen machen sie es nicht. Auch wenn das Stück keine Handlung und Aktion im üblichen Sinn hat und sich alles nur in den Briefen und den Köpfen der Zuschauer abspielt, geht Förnbachers subtile Regie weit über eine szenische Lesung hinaus ins Schauspielerische. Mienenspiel, Gestik und Sitzhaltung verraten viel von der momentanen Gefühlslage der beiden Brieffreunde, denen die "verdammten Briefe" einer realen Liebe entgegenstehen, weil sie sich besser schriftlich als persönlich kennen. Den ernsten, traurigen, frechen, melancholischen oder skeptischen Ton, der in diesem Briefwechsel herrscht, weiß das bekannte Schauspielerpaar mit sparsamen theatralischen Mitteln umzusetzen. Bühnenwirkung geht auch davon aus, dass jeder Darsteller an seinen Briefstellen einen Scheinwerfer hat und viel Emotion zwischen die Zeilen packt. So ist es ist ein anrührender Theaterabend. Zum Schluss dieser unglücklichen Romanze verdichtet sich das Spiel, wenn Nel und Förnbacher die Lesebrillen und Manuskripte zur Seite legen, sich zum ersten Mal anschauen und aufeinander eingehen. Dann wird aus "Love Letters" ein richtiges Schauspiel, berührend, zum Weinen schön.
Die Oberbadische Jürgen Scharf