Die Tafel ist gedeckt. Alles bereit für das große Candle-Light-Dinner. Das Menü besteht aus Schildkrötensuppe, getrüffelten Wachteln in Blätterteig und Spitzenweinen aus teuren Jahrgängen: ein Fest der Sinne und des Gaumens. Das suggeriert die Gourmet-Novelle „Babettes Fest“ der dänischen Erfolgsautorin Tania Blixen. Und dieses lukullische Märchen, das auch verfilmt wurde, wird in einer szenischen Einrichtung von und mit Verena Buss als Ein-Personen-Stück im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof Basel aufgeführt.
Das großen Essen ist in diesem subtilen Kammerspiel reduziert auf einen langen Tisch mit Kandelabern, Gläsern und Flaschen, das Bühnenlicht auf Kerzenschein gedimmt. Die beiden Stühle an der Tafel sind leer, aber man kann sich vorstellen, dass hier die Schwestern Philippa und Martine sitzen, zwei gottesfürchtige Töchter eines Dorfpropstes. In diesen streng pietistischen Haushalt kommt die ehemalige französische Meisterköchin Babette – heute würde man sagen: eine Sterneköchin – nach der vereitelten Pariser Kommune 1871, dem revolutionären Stadtrat während des deutsch-französischen Krieges, wo sie mit auf die Barrikaden ging und die Gewehre für die Männer lud.
Auf der Flucht gelangt sie in dieses skandinavische Nest, aufgenommen von den gütigen Schwestern. Askese bestimmt ihren künftigen Alltag, sie muss Stockfisch und Brotsuppe mit Bier kochen. Als sie eines Tages 10 000 Francs in der Lotterie gewinnt, will sie als Dank für die Gastfreundschaft ein Festessen veranstalten und lässt Delikatessen aus Paris kommen. Eine intime Szene, wenn Babette ihren Kopf in den Korb steckt und es darin gurrt. Das Diner wird zum Debakel, denn die eingeladenen Dorfbewohner lassen das Festmahl wie eine Strafe Gottes über sich ergehen. Nur einer erkennt die Größe von Babette, der General, dessen Uniform Buss erst über die Stuhllehne hängt, dann anzieht samt Helm mit Federbusch. Der General erinnert sich daran, dass er im Pariser „Café Anglais“ einmal superb gegessen habe und die Küchenchefin eine Frau gewesen sei, die plötzlich verschwand – Babette!
Es ist eine ganz zarte Geschichte, und sie wird von Verena Buss still und poetisch erzählt: eine unaufdringliche Theater-Adaption dieses großartigen Stoffes, teils szenisch gelesen mit dem Skript in der Hand, teils gespielt in wechselnden Rollen. Anders als im Film, wo die Personen leibhaftig auftreten, etwa der Offizier Löwenhjelm und der Opernsänger, der Babette ein Empfehlungsschreiben mitgegeben hat, macht Buss mit wenigen Requisiten und Gesten die verschiedenen Figuren allein gegenwärtig: die sittsamen Schwestern, Babette selber in der Schürze, die Gäste.
Die Schauspielerin und Regisseurin erspürt die besondere Atmosphäre in dem Haus, bringt die Schönheit der Sprache zum Tragen, schafft eine zerbrechliche Einheit von Wort und Szene und zieht die Besucher hinein in dieses geheimnisvolle Geschehen. Wer sich auf diese hochsensible Produktion einlässt, für den ist die Tafel gedeckt. Die Geschichte der französische Starköchin, die auszog und eine einfache Magd wurde, ist eine jener „Schicksalsanekdoten“, wie es Blixen selber nannte. Und man spürt Zeile für Zeile Buss’ Empathie für diese Frau, für ihre Liebe zum Kochen. Denn sie spielt die Babette anrührend und gestaltet die Inszenierung als ein besinnliches, ruhiges Drama.
In Gedanken könnte das Publikum auch Papst Franziskus unter den Zuschauern wähnen. Schließlich ist er der erste Papst, der in einem Lehrschreiben („Über die Liebe in der Familie“) einen Film zitiert: „Babettes Fest“. Süß und belebend, so Franziskus, sei die Freude, anderen Vergnügen zu bereiten und zu sehen, wie sie genießen. Der Papst spielt auf eine geglückte Szene an, wo die großherzige Köchin das einzige Lob empfängt: „Wie wirst du die Engel ergötzen!“ Was soll man da noch mehr dazu sagen?
Nur so viel: Tafelfreuden gibt es für das Publikum auch danach. Percy von Tomei, Schauspieler, passionierter Hobbykoch und Ensemblemitglied, kreiert im Sinne eines Gesamtkunstwerks bei jeder Vorstellung kleine Häppchen nach dem Geheimrezept von Babette.
Die Oberbadische, 25.04.2018 Jürgen Scharf