Darf man 164 Menschen an Bord einer zivilen Lufthansa-Maschine in den Tod schicken, um 70 000 Menschen in einem Stadion zu retten? Für die Zuschauer der Gerichtsfiktion „Terror“ im Förnbacher Theater Basel, das zum Gerichtssaal wird, scheint das Urteil eindeutig: Mehrheitlich plädieren am Dienstag die Theater-Schöffen für nicht schuldig. Meistens läuft es auf Freispruch hinaus.
Das Stück ist brandaktuell, wenn man an die Terrorakte und die Terrorangst der Menschen nach dem 11. September 2001 denkt, als Flugzeuge ins World Trade Center flogen, und es spielt auch mit diesen Emotionen. Der Sachverhalt ist klar, die Beweisaufnahme geschlossen, nur der Ausgang des Prozesses ist fraglich. In dem Stück von Ferdinand von Schirach, das mit seinen Abstimmungen auch schon im Fernsehen Aufsehen erregte, wird das Publikum mit Informationen bombardiert.
Da wird argumentiert mit übergesetzlichem Notstand kontra Prinzipientreue. Schirach hat zwei Urteilsbegründungen vorbereitet, je nach Urteilsspruch. Das Schwurgericht in der Theaterhalle im Badischen Bahnhof fällte das menschliche Urteil nach Gewissen, Moral und gesundem Menschenverstand und vielleicht auch nach Schweizer Rechtslage, die von der deutschen entscheidend abweicht.
Das Karlsruher Verfassungsgericht hält sich in seiner Entscheidung an das Grundgesetz („Die Würde des Menschen ist unantastbar“): Leben darf nicht mit Leben aufgewogen werden.
Es ist klar, dass bei der spannenden Theateraufführung (werkgerecht und sachlich inszeniert und ausgestattet von Helmut Förnbacher) die Geschworenen, die es bei uns ja gar nicht gibt, bald auf der Seite des jungen Luftwaffenmajors Lars Koch (jung, attraktiv, wie ein Pilot sein muss: Falk Döhler) stehen.
Alles andere, so fühlt man, wäre ungerecht. Er übernimmt auch die Verantwortung für sein Handeln, das Abschießen der Maschine aus seinem Kampfjet. Döhler in Uniform macht diese Figur, die gegen den Befehl handelt, glaubhaft und man spürt bei ihm, dass die Politik und das Gesetz diesen Militärpiloten der sogenannten Alarmrotte im Stich lassen.
Nichtsdestotrotz kriegt auch die Staatsanwältin (hart, aber fair: Kristina Nel) bei ihrem glanzvollen Schlussplädoyer Szenenapplaus. Sie argumentiert überzeugend, tritt sicher auf, verbucht bei diesem fiktiven Gerichtsprozess aber bloß einen Achtungserfolg, denn ihre Prinzipienreiterei ist den Schöffen zu intellektuell und akademisch.
So folgen die Zuschauer in der Schuldfrage mehrheitlich der Argumentation der Verteidigung. Helmut Förnbacher ist kein Promi- und Show-Anwalt à la Bossi oder Schirach selber, sondern sehr seriös in seinem Auftreten, aber ein großer Schauspieler wie alle Verteidiger. Souverän und ruhig führt der Vorsitzende Richter (Philipp Steiner) die Verhandlung, in der auch Percy von Tomei als Zeuge und Michèle Bielser als Nebenklägerin auftreten.
Nach der Premiere, die etliche Zuschauer nachdenklich zurücklässt, gab es eine Debatte über die (Un-)Schuld des Piloten. Ist er ein Held oder ein Mörder? Dieser Frage ging der Anwalt und Richter a.D. Peter Zihlmann („Das Recht ist sehr ungerecht“) in der Publikumsdiskussion nach, die es im Anschluss an ausgewählte Vorstellungen im Foyer gibt: Ein interessantes Theater-Experiment mit offenem Ausgang!
Jürgen Scharf