< Pressestimmen: Offene Zweierbeziehung - das «Up-Date»…!

Der alltägliche Wahnsinn

Moderne Menschen leben in einer offenen Zweierbeziehung. So wie Antonia und ihr Mann. Genau genommen lebt ja nur er in einer solchen freien Paarkonstellation. Übrigens heißt er nur „der Mann“ und hat keinen Namen. Es ist der Mann an sich. In der Tragikomödie des italienischen Autorenduos Dario Fo und Franca Rame gibt er kein gutes Bild ab.

Vorgeführt wird der alltägliche Wahnsinn in einer kaputten Beziehung. Eine Art Strindberg-Ehe auf Italienisch. Dem Mann ist immer nach Amore zumute, er geht ständig fremd, hat eine Sucht nach Bettgeschichten; die Frau will Leidenschaft, will geliebt werden, droht ständig mit Selbstmordversuchen. Er faselt von Toleranz und Achtung, sie wird immer mehr zu einer Männerhasserin.

In diesem herrlichen, fulminanten, vor Sprachwitz nur so strotzenden Stück wird dargestellt, wozu Mann und Frau fähig sind – lange noch vor den Beziehungskisten in den Erfolgsstücken einer Yasmina Reza. Der französische Rosenkrieg hat den italienischen etwas verdrängt, und so ist es jetzt hochwillkommen, dass die Helmut Förnbacher Theater Company den früher vielgespielten, aber in den letzten Jahren immer seltener auf der Bühne anzutreffenden Dario Fo als letzte Saisonpremiere bringt.

In diesem Komödienklassiker, der sich als eine irre-komische Mischung aus Farce und Tragikomödie entpuppt, hat das Autoren- und Ehepaar Fo & Rame die Spezies Mann ins Visier genommen. Erzählt wird die Geschichte im Rückblick von Antonia, die sagt, wie es gelaufen ist und wie es dazu kam, dass sie die Beziehung neu erfinden musste. Irgendwann eskaliert die Geschichte. Sie macht sich selbstständig, geht aus, dreht den Spieß um und lacht sich einen Geliebten an, ihren „Teilchenbeschleuniger“, einen Kernphysiker, Universitätsprofessor, Nobelpreisanwärter, Cantautore. Klar, der Mann ist frei erfunden, aber dann…

In dieser Neuproduktion gibt es eine besondere Schlusspointe (wird nicht verraten). Wie überhaupt die Inszenierung von Markus Schlüter turbulent und intelligent ist, mit temporeicher Dialogregie, gut platzierten Gags, raffiniert eingefädelter Situationskomik, perfektem Timing, tollen Einfällen bis hin zu Schnitten und Standbildern in der Art von Filmstills.

Auf der Bühne ist viel Action und das Stück ein gefundenes Fressen für Kristina Nel und Lothar Hohmann, die lebenspralles Schauspielertheater daraus machen – auch ein bisschen mit den Mitteln des Boulevards.

Hohmann, südländisches Temperament und Akzent, ganz Papagallo mit italienischer Blutaufwallung. Nel, betrogene Ehefrau, ganz weibliche Erscheinung, selbstironisch, auch mal mit Pistole herumfuchtelnde Megäre („Stupido!“)

So sind diese Szenen einer Ehe im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof ein kurzweiliger, höchst amüsanter Abend. In der deutschen Fassung von Renate Chotjewitz-Häfner leicht modernisiert, auf Zeitgeist gebürstet und mit einem tollen Live-Song angereichert. Mit „Ciao Bella!“ kommt bei dem eigentlichen Zwei-Personen-Stück der Dritte ins Spiel. David Köhne, weißer Show-Anzug, roter Schal, Sonnenbrille, begrüßt die Damen im Parkett, setzt sich ans Piano und singt Paolo Contes Welthit „It’s wonderful“. Und wunderbar ist auch die ganze Inszenierung.

Jürgen Scharf