Von wegen Hörner, Schwefelgestank und Pferdefuss:
Wenn Helmut Förnbacher in Basel den Teufel spielt, trägt er zwar nicht Prada, aber dunklen Anzug mit lässig übergeworfenem weissen Schal und ist ganz Gentleman.
Seinen Faust lässt der Theaterleiter daneben als übernächtigten Professor im grauen Pullover sowohl über die Unzulänglichkeit aller Wissenschaft brüten als auch über die eigene, längst klassisch gewordene, Unfähigkeit zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Schon will er in finsterer Nacht in letzter Konsequenz das im Totenschädel verwahrte Gift hinunterstürzen, als ihm ein Geist erscheint, der sich bald als er selbst entpuppt. Zwei Seelen hatte bekanntlich auch der Dichterfürst schon in der Brust seiner grössten Figur leben lassen.
Die Basler Aufführung von Goethes 1772 begonnenem und dann 50 Jahre lang weitergeführtem Lebenswerk nimmt das etwas wörtlicher als gewohnt.
Aus dem viel gesehenen Teufelsspuk wird so eine realpsychologische Dreiecks-Geschichte mit jungem und altem Faust und einem hier seinerseits über Gott und die Welt nachdenkenden Mephisto. Anstatt sich wie im Original bald als der Kern eines besessenen Pudels zu entpuppen, bekommt der Förnbacher Mephisto deutlich menschlichere Züge. Die böse Macht, die Faust verführt, sitzt stattdessen mehr denn je in ihm selbst. Sinnbildlich dafür steht der grosse verzerrende Spiegel, der lange die Bühne als Hauptbild beherrscht. - Allerdings bleibt dem Teufel noch genug Gewalt, um den Mann, der ihm seine Seele verkauft hat, deutlich zu verjüngen.
Falk Döhler lässt jetzt auf der Bühne im Badischen Bahnhof den jugendlichen Faust die Wechselbäder von Leidenschaft und Überdruss durchleiden. Er ist der immer stürmisch Fordernde und schlüpft auch einmal selbst in Mephistos Rolle. Kurzfristig wird der junge Mann aber auch zum heissblütig und stellenweise wohl auch aufrichtig Liebenden. Dass er sein Gretchen schwängern und dann verlassen wird und es so, ganz Zeit und Moral gemäss, zum Kindsmord und in den Kerker bringt, wird ihm erst spät bewusst. Zu retten ist jetzt längst nichts mehr, für sein Seelenheil zuallerletzt. Die Flucht vor dem Henker, die Faust vorschlägt, hätte ohnehin nur sein eigenes Gewissen besänftigt, während die vormals Geliebte längst nur noch in Wahn-vorstellungen lebt.
Dora Balog wächst als Gretchen spätestens in der letzten Kerkerszene und im Erkennen der eigenen Schuld schauspielerisch über alle hinaus. So, wie sie sich dem Phantombild ihrer Liebe erst entgegenwirft, weicht sie schreiend einen Augenblick später vor ihm zurück und sieht endlich phantasierend klarer als der junge Faust, dem nur noch der Weg in die Hölle der eigenen Erkenntnis bleibt.
Erschienen war ihm das Schreckensbild Gretchens auch schon an der Walpurgis-nacht, einer der ihrerseits grossen Szenen der Aufführung, die von in die Finsternis eingeblendeten teils derb erotischen Zeichnungen des Dresdner Malers Holger John lebt. In schneller Folge übereinander eingeblendet, übertragen sie die oft genug bis heute verblüffend deutliche Sprache Goethes in Bilder.
Im Kneipenmilieu in Auerbachs Keller, wohin Mephisto seinen vergnügungs-hungrigen Faust zuerst gebracht hatte, war dagegen noch wenig zu spüren von dem, was Faust sucht und doch nicht finden wird. - Kristina Nel tritt hier langbeinig und sehr agil zuerst als einer der drei vom Teufel genarrten Studenten auf. Sie gibt später auch die Nachbarin Marthe Schwerdtlein, die Gretchen fast zu ihrem Unglück überredet und beinahe folgerichtig in der Walpurgisnacht zur Hexe mutieren muss.
Den trotz allem schwergewichtigen aber verkürzten Klassiker bringt die seit 1980 bestehende Förnbacher Company aktuell zum zweiten Mal auf die Bühne. Allerdings liegt die Erstauflage inzwischen 30 Jahre zurück. Den Faust hatte Förnbacher damals zur Eröffnung des Messe-Kongresszentrums gegeben. - Seine Bearbeitung, die sich sowohl am „Urfaust“ aus der Zeit des Sturm und Drang als auch am 1808 erstmals überarbeitet vollständig erschienen „Faust I“ orientiert, hat sich mit den Jahren und seinem heutigen Mephisto-Faust weiter entwickelt. - Dass die grossen Rollen wiederkommen, lässt die Hoffnung eines Wiedersehens auch mit anderen Schwergewichten zu. Als erstes Stück mit der eigenen Truppe hatte Helmut Förnbacher Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ gegeben, damals noch in der Elisabethenkirche. Der Hölle war er da ja noch entkommen.
Annette Mahro