Auf manchen Schauspielführern sind Will Quadflieg im langen Gewand und ein diabolisch dreinblickender Gustaf Gründgens als Mephisto abgebildet. Solche Bilder muss man sich bei der Neuinszenierung von Goethes „Faust“ im Förnbacher Theater Basel abschminken. Theaterleiter Helmut Förnbacher war entschlossen, sich nach 30 Jahren, mit der Erfahrung von heute, wieder mit diesem Stoff zu beschäftigen – und zwar anders als gewohnt.
Für ihn, der selber Regie führt und Faust und Mephisto als Doppelrolle verkörpert, steht eine andere dramaturgische Überlegung im Mittelpunkt, als das Dämonische gegen das papierne Wissenschaftliche auszuspielen: Förnbacher geht auf die Situation des Faust und seine – ach! – zwei Seelen in der Brust ein. Faust und Mephisto sind bei ihm eine Person; nur besetzt er den Faust gleich zwei Mal, nimmt noch einen jungen Faust mit hinzu.
Das zeigt sinnfällig die Gespaltenheit des „faustischen Menschen“, seines Wesens, und das lässt sich auch aus dem Stück so deuten, denn Faust geht aus der Hexenküche verjüngt hervor. Das macht diese Inszenierung so anders, so erfrischend, so modern. Angefangen vom sparsamen Bühnenbild bis zur heutigen Straßenkleidung. Man muss sich vom Schul-„Faust“ verabschieden.
Viel ist gestrichen, vieles wird anders ausgelegt, als man es kennt. Der Spiegel wird zum dominierenden Requisit. Mephisto zeigt im gold gerahmten Spiegel Faust das verlockende Bild einer schönen Frau. Hier ist es eine wohlproportionierte Nackte, ein lasziver Akt à la Helmut Newton. Der Spiegel wird zum Zerrspiegel, zum Hohlspiegel, zeigt verzerrte Spiegelbilder der Protagonisten, und aus ihm sprechen die Geister.
Das Wichtigste ist da: der (alte) Faust, grübelnd neben dem Bücherstapel, der Schlaftrunk Gretchens für die Mutter, das Geschmeide, das Kästchen, die Viole, aber nicht der Osterspaziergang und kein zugelaufener Pudel. Der Trubel der Walpurgisnacht, die Bocksbergszene wird effektvoll illustriert von groß an die Bühnenwand projizierten erotischen und apokalyptischen Zeichnungen von Holger John. Der Dresdner Künstler, der jahrelang mit Jörg Immendorff zusammengearbeitet hat, sich im Umfeld von Georg Baselitz und Gerhard Richter bewegt und dessen Bühnenbilder für die Rammstein-Band Kultstatus haben, hat „Faust“ hoch sensibel nachempfunden.
Für die Musik und den Famulus Wagner ist David Wohnlich ein guter Griff. In Auerbachs Keller sind keine lustigen Zecher, herrscht kein Männergelage. Der junge Faust kommt hier ins Rotlichtmilieu einer Bar mit Animierdamen; sehr lustig wird das „Flohlied“ auf die Bühne gebracht.
Die Gretchen-Tragödie ist voll da. Die junge, begabte ungarische Schauspielerin Dora Balog, seit kurzem ein neues Gesicht im Förnbacher Theater, ist ein geheimnisvolles Gretchen, mehr ernsthafte Margarethe denn unschuldiges Wesen, mit Hingabe und Erschütterung in den Wahnsinnsszenen. Ihre Ausbrüche des Schmerzensreichtums bleiben haften. Neben ihr die wandlungsfähige Kristina Nel als Kupplerin à la française, eine mit französischem Akzent parlierende Madame Marthe.
Falk Döhler, auch neu im Ensemble, ist ein gut aussehender, smarter Faust jr., kein trockener Bücherwurm oder vergrübelter Studiosus, vielmehr ein verführerischer Beau und lässiger Jungspund, der sein Pendant im wahrsten Sinn des Wortes in Mephisto hat. Denn beide sehen sich zumindest äußerlich ähnlich: eleganter Businessanzug, weißer Schal, wie die Bonvivants in der Operette oder in alten amerikanischen Spielfilmen, und man meint fast, Mephisto würde gleich seinem jungen Zögling eine Zigarette oder einen Drink anbieten. So sophisticated, so süffisant und mit ironischem Lächeln um die Mundwinkel begleitet dieser Gentleman-Mephisto (Helmut Förnbacher) sein Alter Ego, den Faust. Sehenswert!
Jürgen Scharf