Sie beschimpft ihn als „Polacke“, er treibt ihr die Diva-Allüren mit Brutalität aus: Feudale alte Südstaaten-Welt trifft auf proletarische Enge im Hinterhaus in Tennessee Williams Schauspiel „Endstation Sehnsucht“. Jetzt kam dieses Stück Weltliteratur im Förnbacher Theater Basel in einer sorgfältigen, stimmigen und dichten Neuinszenierung heraus.
Die aristokratische feine Lady Blanche DuBois stammt aus der besseren Gesellschaft, ihr Schwager, der aggressive Stanley, aus der Arbeiterschicht. Blanche verguckt sich in ihn, provoziert ihn aber mit ihrer herablassenden Art, ihren ewigen Lügen, ihrer Flucht in Traumgespinste. Das hat etwas Paranoides und Depressives, denn die verwelkende Südstaaten-Schönheit ist im Leben gescheitert, das elterliche Gut ist futsch, sie hat ihren Job als Lehrerin verloren und sucht letzte Zuflucht bei ihrer Schwester Stella. Da stoßen zwei Welten zusammen, eine Art Clash of Culture, ein Kulturschock auf beiden Seiten.
Regisseur Helmut Förnbacher lässt im New Orleans-Milieu und in beengten Räumlichkeiten spielen. Die Musik weist den Weg: „Summertime“, „Ol’ man river“ und anderer Blues verortet die Straßenbahn-Endstation in der bedrückenden Atmosphäre einer kleinen Zweizimmer-Wohnung. Aber es ist weit mehr als eine Milieustudie. Überzeugend die Idee seines Bühnenbilds einer durchsichtigen Häuserfassade, durch die man wie ein Voyeur in das Leben der Protagonisten und hinter die Kulissen ihres Daseins schauen kann.
Darstellerisch ist es der Abend von Kristina Nel. Über drei Stunden ist sie fast permanent auf der Szene, trägt das Stück mit ihrer intensiven Schauspielkunst. Allein schon sehenswert, wie sie ins Leben von Stella und Stanley stöckelt und sich wie eine Prinzessin aufführt. Fast tänzerisch, zerbrechlich, knickt sie manchmal richtig ein, stellt aber immer ihren Stolz und ihren Dünkel aus. Kristina Nel zeigt die zwei Seiten der Blanche, ihre Ambivalenz: die Intimität der Figur, deren Nervenkostüm blank liegt, die Zerrissenheit und das seelisch und körperlich Zerrüttete. Erstaunlich brillant, wie sie diese physische Labilität auf die Bühne bringt. Deutlich arbeitet sie Blanches Vergangenheit als Grande Dame, das Überhebliche, ihren Snobismus ebenso wie das Mädchenhafte, die stille Verzweiflung und den Wirklichkeitsverlust heraus. So wie man bei ihr spontan an Vivien Leigh denkt, denkt man bei Falk Döhler gleich an Marlon Brando: Sein Stanley ist ein schlanker, gut gebauter, durchtrainierter junger Mann mit Muckies, ein unkultivierter Typ mit animalischer Potenz, im Unterhemd oder mit nacktem Oberkörper. Bei aller Aggressivität ist er aber eigentlich ein netter Kerl – nur nicht, wenn er säuft und Poker spielt, dann rastet er aus, brüllt, wütet und schlägt seine Frau. Überzeugend spielt Dora Balog die Stella, die ihrem Stanley hörig ist und ihm alles verzeiht. Philipp Steiner ist das ältere Muttersöhnchen Mitch, das zarte Bande zu Blanche knüpft. Drastisch dargestellt wird die mit Matthias Zelazko und Percy von Tomei erweiterte Prolo-Pokerrunde. Im Irrenarzt glaubt Blanche einen Gentleman und neuen Verehrer gefunden zu haben. Am Ende merkt man, dass für sie die Sehnsucht die Endstation ist. Eine schauspielerische Glanzleistung!
Jürgen Scharf