Zwei Gedanken sind es, die einen ins Theater begleiten, wenn Tennessee Williams’ grosses Südstaaten-Geschlechter-Drama «Endstation Sehnsucht» (1947) auf dem Programm steht. Zum einen sind es die aktuellen politischen Nachrichten aus den innerlich gespaltenen USA, zum anderen ist es die Erinnerung an die geradezu idealtypische Verfilmung dieses Textes 1951 durch Elia Kazan mit Vivien Leigh und Marlon Brando in den Hauptrollen. Wie kann sich die Aufführung der Helmut Förnbacher Theater Company dagegen behaupten?
Sie behauptet sich gut, zeigt sich, weil sie sich auf den Text verlässt und ihn geduldig liest und bebildert (Regie und Raum: Helmut Förnbacher). Blanche DuBois, die Protagonistin (Kristina Nel), verkörpert den hohlen Charme einer abgelebten und verarmten weissen Oberschicht, wogegen Stanley Kowalski, der Ehemann ihrer Schwester (Falk Döhler), die protzende Kraft der selbstbewussten Arbeiter hat, die vor dem gesellschaftlichen Establishment nicht in die Knie gehen. Die ihr Leben in die Hand nehmen, Lügen durchschauen und – hier greift vielleicht der Gedanke an Trump-Wähler – notfalls brachiale Gewalt einsetzen, wenn ihnen andere verbal überlegen sind.
Das Stück beginnt damit, dass Blanche sich bei ihrer Schwester Stella (Dora Balog) einquartiert, auch wenn deren Einzimmerwohnung in nichts dem Landsitz «Belle Rêve» ähnelt, auf dem die beiden aufgewachsen sind. Aber Blanche hat keine andere Wahl; der Landsitz ist verloren, kein Geld mehr da, und ihre Stelle als Lehrerin hat sie auch verspielt.
Nur ihre Illusionen hat sie noch, die verträumt alkoholisierte, verzweifelt einen Ehemann suchende Möchtegern-Prinzessin. Stanley, den Schwager, verachtet sie als «primitiv», als «Unmensch», und bewundert doch seine «animalische Kraft» – aber er lässt sich nicht täuschen von Blanches Parfumwolken, ihrem «hysterischen Theater», der geschönten Biografie und den weltfremden Illusionen.
Er zerstört die Beziehung, die sein etwas hölzerner, immer schwitzender Kollege Mitch (Philipp Steiner) mit Blanche anzubahnen beginnt, und vergewaltigt sie schliesslich, diese Frau, die doch meinte, mit ihm spielen zu können. Zuletzt bleibt nur, Blanche einem Arzt (Helmut Förnbacher) und dessen grob handgreiflicher Krankenschwester (Pirkko Nidekker) zu übergeben. War nicht von Anfang an ein dunkler Todesbote mit weissen Blumen raunend um die Bühne gegangen?
Kristina Nel als Blanche DuBois beherrscht die mit kargen Raumelementen, wenigen Lichteffekten und Requisiten geschickt gestaltete Welt, die auf der Bühne im Badischen Bahnhof aufgeschlagen und immer wieder vom Rattern eines durchfahrenden Zugs in die Wirklichkeit hinein geholt wird. Und das, was an Musik und Geräuschen in ihrem Kopf ist, wird für uns hörbar – gelegentlich als ziemlich filmreif schmachtende Töne.
Natürlich ist die Grande Dame des Ensembles für die Rolle zu alt, schon gar neben den viel jünger besetzten, kräftigen Mitspielern (neben den schon genannten sind es Sandra Schaub, Matthias Zelazko und Percy von Tomëi). Aber sie schafft es, in der Figur der Blanche die Tragik ungelebten Lebens sichtbar und nachvollziehbar zu machen, in dieser Frau, die sich ständig umzieht, im Spiegel betrachtet und sich dabei noch immer als Schmetterling sieht – auch wenn wir längst wissen, dass diesem die Flügel gestutzt sind. Bis auf letzte Stummel.
Verena Stössinger