"Endstation Sehnsucht" im Förnbacher Theater hält, was es verspricht: Die Illusion wird von Bodenständigkeit herausgefordert.
Zart und zerbrechlich steht sie da mit ihrem Koffer, so verloren, als könnte jeder Windhauch sie umwehen: Als fragile und nervlich labile Südstaaten-Schönheit Blanche DuBois nimmt Kristina Nel die Zuschauer im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof Basel von der ersten Szene an gefangen und lässt sie bis zum tragischen Schluss nicht mehr los. Blond, ätherisch, äußerst dünnhäutig, eine kultivierte Dame, die sich vor der rauen Wirklichkeit in Illusion, Erinnerung, Traumgespinste und Trugbilder flüchtet, immer lavierend am Rande des Zusammenbruchs – so erscheint die Protagonistin in Tennessee Williams Drama "Endstation Sehnsucht".
Über drei packende Theaterstunden geht Kristina Nel ganz in der Figur dieser hochsensiblen, überspannten Frau auf, die ihre dahinschwindende Jugend, ihre langsam verblühende Attraktivität durch Prinzessinnen-Allüren überspielt. Es ist große Schauspielkunst, wie Kristina Nel diese kultivierte, schöngeistige Dame gibt, elegant, feenhaft und nervös-fahrig herumflatternd in hellen, luftigen Kleidern. "Ich will keinen Realismus, ich will Zauber, ich will Magie", sagt sie in einem Schlüsselsatz. Als Blanche baut sie sich Luftschlösser, um sich und die anderen darüber hinweg zu täuschen, dass sie ein nervliches Wrack ist, zu viel Alkohol trinkt, ihren Job als Lehrerin und das herrschaftliche Gut der Eltern verloren hat. Kristina Nel zieht die Zuschauer in ihren Bann als zartbesaitetes, poetisches Wesen, das die bittere Wahrheit nicht ertragen kann. Zerrissen und verletzlich kokettiert sie auf der einen Seite divenhaft mit ihrer Anziehungskraft, ihrer Bildung, betrachtet sich im milden Licht der Kerze im Spiegel, umgarnt ihren Verehrer Mitch mit weiblicher Verführungskunst, auf der anderen Seite ist sie immer nah am seelischen Absturz.
Unaufhaltsam steuert das Stück auf die Tragödie zu, von dem Moment an, in dem die weltfremde Blanche in der schäbigen Wohnung ihrer Schwester Stella und ihres Schwagers Stanley unterschlüpfen muss. Regisseur Helmut Förnbacher fängt szenisch dicht und stimmig bis ins Detail die aufgeheizte und gereizte Atmosphäre in der beengten Wohnung ein. Eine weiße, offene Fassade mit Tür, Fenstern, Korbstuhl gibt direkten Einblick in das Leben der Protagonisten. Ein großes Bett, eine Stange übervoll mit Kleidung, ein Sofa, ein Paravent bietet die Kulisse für das emotional aufgeladene Aufeinanderprallen zweier Welten.
Hier Blanche, die den verblassenden Südstaaten-Glanz verkörpert, dort ihre Schwester Stella, bodenständig, sinnlich, herzlich, patent und fürsorglich dargestellt von Dora Balog als eine Frau, die trotz aller Eskapaden ihrem Mann hörig ist. Vor allem ist es Falk Döhler als grober, ungehobelter Arbeiter Stanley, der mit seiner rohen Männlichkeit, dem machohaften Auftreten, dem explosiven Temperament und der latenten Aggression die Szene beherrscht und den Konflikt schürt. Betont sexy, provokant und animalisch in den Bewegungen, in Unterhemd, Jeans oder mit nacktem Oberkörper kehrt Döhler die Energie und Triebkraft dieses Kerls hervor, den Blanche als "gewöhnlich, primitiv und ordinär" bezeichnet. Er trinkt, er spielt Poker, er brüllt, er rastet aus, er schlägt seine Frau, die ihn als "versoffenes Schwein" beschimpft: Es geht emotional hoch her in dieser packenden Inszenierung, die sich dramatisch zuspitzt, wenn Stanley knallhart die Lügen von Blanche aufdeckt und sich die Hitze der Gefühle und die aufgestaute Spannung entlädt.
Philipp Steiner als rührend bemühter, unbeholfener Verehrer Mitch, der zarte Bande mit Blanche knüpfen will, sowie Sandra Schaub und Matthias Zelazko als Nachbars-Ehepaar Eunice und Steve, das sich lautstark streitet und ebenso heftig wieder versöhnt, sind weitere herausragende Darsteller in dieser bildkräftig erzählerischen Inszenierung des modernen Klassikers. Wenn der Arzt (Helmut Förnbacher) wie ein Gentleman am Schluss Blanche wegführt und eine schwarz gekleidete Frauengestalt mit unheilvoller Stimme "Blumen des Todes" anpreist, sind das Momente von eindringlicher Intensität.
Roswitha Frey