< Pressestimmen: Der Richter und sein Henker

Psychologisches Katz- und Maus- Spiel

Krimispannung an der Festtafel erzeugen Kristina Nel und Helmut Förnbacher bei der inszenierten Lesung von Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“.

Basel. Es ist angerichtet. Ein opulentes Festmahl auf einer langen Tafel mit Hummer, gefüllten Schüsseln und Wein. Die Aufführung von „Der Richter und sein Henker“, eine Hommage zum 100. Geburtstag des Schweizer Dramatikers Friedrich Dürrenmatt, wird vom Schluss her inszeniert: dem „Festessen“, eigentlich eine Henkersmahlzeit, die zum Showdown zwischen Kommissar Bärlach und dem Mörder wird.

Die Inszenierung von Helmut Förnbacher, eine Premiere des Förnbacher Theaters im frisch aufgelegten Sommerspielplan im Badischen Bahnhof, läuft in diesem Setting ab. Förnbacher selber und Kristina Nel sitzen bei der szenischen Lesung von Dürrenmatts erstem Kriminalroman an dem gedeckten Tisch mit Damastdecke und Kerzenleuchtern. An den Stellen, wo es um „Suspence“ geht, wird ein bedruckender Score von Bach-Musik eingespielt.

 

Die beiden Schauspieler sprechen alle Figuren in dieser Erzählung, die immer noch auf schulischen Lehrplänen steht. Dürrenmatt ist ja nicht nur mit seinen tragikomischen Theaterstücken bekannt geworden, von denen das Förnbacher Theater seit über 20 Jahren die Klassiker „Der Besuch der alten Dame“ und „Die Physiker“ auf dem Spielplan hat, sondern auch als Erzähler.

 

Förnbacher hat das Kriminalstück für die spezielle Bühnensituation in der Theaterhalle mit Klavier, diversen Kandelabern, Garderobenständer, Sitzecke und nostalgischem schwarzem Telefon eingerichtet. Der Theaterleiter kennt diese Geschichte aus dem Effeff, nicht nur, weil er seit Jahrzehnten groteske Parodien wie die auf die Macht des Kapitals („Alte Dame“) oder so bizarre Schocker wie die über die Atombombenwelt im Irrenhaus („Physiker“) spielen lässt, sondern weil er selber unter Dürrenmatts Regie an der Verfilmung von „Der Richter und sein Henker“ mitgewirkt hat. An der von Dürrenmatt eigens erstellten Schweizer Sprachfassung hat er die Rolle des Tschanz synchronisiert – auf Berndeutsch.

Das war 1975. Jetzt spricht Helmut Förnbacher aber den alten, todkranken, zynischen Berner Kriminalkommissar Bärlach, der mit seinen unkonventionellen Methoden an amerikanische Detektive erinnert und dessen bester und fähigster Mitarbeiter, der Kriminalbeamte Schmied, auf einer Landstraße in seinem blauen Mercedes erschossen wurde. Bärlachs Assistenten Tschanz übernimmt als Sprecherin Kristina Nel. Beide schaffen es in der dicht inszenierten Lesung, auch ohne Action und Szenenwechsel, Theaterspannung aufzubauen und Atmosphäre zu erzeugen.

So ist der Zuschauer gebannt, wenn er den „Jäger und das Wild“ vor sich hat und erlebt, wie Dürrenmatt mit grandioser Sprachgewalt beschreibt, wie der Kommissar seinem Kollegen eine Falle nach der anderen stellt.

Aufgebaut ist diese Geschichte wie ein Schachspiel. Bärlach hat mit Tschanz gespielt bis zum tödlichen Ende. Bald ahnt man, dass der Kriminalbeamte Tschanz der Mörder seines Kollegen ist und ihn aus Neid umgebracht hat. Dass in diesem Krimi erst mal ganz „falsch“ ermittelt wird, merkt man spätestens, wenn der Name des Mannes fällt, der sich Gastmann nennt.

Bärlach weiß, dass es um seinen alten Todfeind geht, mit dem er einst in Istanbul in den 40er Jahren eine tragische Wette abgeschlossen hat. Gastmann wird ein immer besserer Verbrecher und Bärlach ein immer besserer Ermittler. Bärlach konnte Gastmann nie für begangene Verbrechen überführen – jetzt wird er ihn für eines überführen, das dieser gar nicht begangen hat.

Also ein höchst spannender Kriminalroman, der in Basel szenisch beleuchtet wird. Das souveräne Schauspielerpaar zieht die Besucher in dieses psychologische Katz- und Maus-Spiel zwischen dem Richter (Bärlach) und seinem Henker (Tschanz) hinein.

Nicht nur der schwarze Humor des Romans wird deutlich, zwischendurch kommt Nervenkitzel auf. Etwa, wenn Bärlach in Gastmanns Garten von einer Bestie von Hund angefallen wird und Tschanz diesen erschießt (wobei ihn die Kugel aus der Dienstwaffe verrät), oder der Berner Kommissar mitten in der Nacht von einem Eindringling aufgeschreckt wird, der ein Messer nach ihm wirft und ihn nur um Haaresbreite verfehlt.

Diese Bilder bleiben auch ohne szenisches Spiel prägnant vor Augen haften. Ebenso die bizarre Beerdigungsszene, bei der Förnbacher und Nel im Dialekt zwei komische Lieder der beiden Gastmann-Diener singen. Die Nebenfiguren wie der Anwalt Gastmanns, Nationalrat von Schwendi, und dessen Freund, der Untersuchungsrichter Lutz, werden ebenso lebendig.

Einmal mehr gelingt es Förnbacher, Dürrenmatt als Erfolgsgeschichte auf die Bretter zu bringen als Erinnerung an den großen Erzähler, der einmal über sich gesagt hat: „Ich schreibe, um das Absurde dieser Welt wissend.“

von Jürgen Scharf