< Pressestimmen: Der Besuch der alten Dame

Konjunktur für eine Leiche

Mit schrill quietschenden Bremsen hält der Zug. Mitten auf der Strecke. Weil eine besondere Passagierin die Notbremse gezogen hat. Und dann erscheint sie auch schon, jeder Zoll eine exzentrische Lady, rothaarig, mit dunkler Sonnenbrille, weißem Kleid, im Schlepptau ihren Butler. Schon der erste Auftritt von Kristina Nel in der Titelrolle von Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof Basel macht gewaltig Effekt. Wie eine Mischung aus Filmstar und antiker Rachegöttin steht sie da, angestrahlt vom Scheinwerferlicht. Kristina Nel gibt dieser Milliardärin Claire Zachanassian, die ihrem völlig verarmten Heimatstädtchen Güllen eine Milliarde für den Tod ihres Ex-Geliebten Alfred Ill verspricht, eine Aura von Glamour und Grandezza, vor allem aber diesen bösen skrupellosen Zynismus der Mächtigen, die alles und alle kaufen können –und es auch tun.

Wie Kristina Nel die "alte Dame" in der Neuinszenierung von Helmut Förnbacher verkörpert, hat auch etwas von der Heldin einer antiken Tragödie. Denn es gibt dichte Momente, in denen die distanzierte Kälte dieser Figur bröckelt, und eine verletzte, enttäuschte Frau zum Vorschein kommt, die auf ihre Art Gerechtigkeit will, dafür, dass sie einst hochschwanger und allein gelassen ihr Städtchen verlassen musste. In der distanzierten statuarischen Haltung, im steifen Gang, in der kühlen herablassenden Mimik gibt Nel ein scharf umrissenes Rollenporträt dieser reichsten Frau der Welt, die das Leben zur Hure gemacht hat und die nun die Menschen als käufliche Ware betrachtet: "Konjunktur für eine Leiche!".

Die Bühne ist spartanisch eingerichtet, nur eine hölzerne Bank, ein Stuhl, ein Schreibtisch, ein Ladentisch, ein Stück bröckeliges Mauerwerk, eine Schiefertafel, auf der "Güllen Abfahrt" steht. Trostlos, schäbig, ein verlottertes Nest, das bessere Tage gesehen hat. Das Ambiente des Bahnhofs, in dem das Stück spielt, wird passend mit einbezogen bis hin zu den realen Zuggeräuschen. Auch der kleine Balkon über den Zuschauerreihen wird bespielt, wenn die Femme fatale mit ihrem neuesten Gemahl, den Helmut Förnbacher als dekadenten Dandy spielt, von oben das Geschehen betrachtet.

Förnbacher lenkt in seiner Regie alle Konzentration auf die Figuren und die Sprache, auf die zeitlos aktuellen Aussagen in diesem "bösen Stück", auf die Sprengkraft der Sätze. Die Bürger des verarmten Kaffs treten wie der Chor einer antiken Tragödie auf. Die Figuren sind nicht übertrieben, sondern kommen glaubhaft rüber als Menschen, die durch die Aussicht auf ein unvorstellbares Vermögen irgendwann ihre moralischen Skrupel über Bord werfen. Dieter Mainka als Claires Jugendliebe Alfred Ill gibt den Verfolgten, der Schutz und Hilfe sucht, in einer differenzierten Charakterzeichnung. Wie er diesen windigen Krämer spielt, der sich vom beliebten Mitbürger in die Rolle des Schufts und schließlich des Opfers gedrängt sieht, hat eine innere Größe. Mit wenigen Mitteln wird die Atmosphäre der Bedrohung geschürt, wenn Bürgermeister und Polizeiwachtmeister am Schreibtisch ihre Gewehre reinigen, wenn der Hofbauer am Ladentisch ein Beil verlangt. Hanspeter Stoll als jovialer Bürgermeister, Philipp Steiner als Pfarrer und resoluter Hofbauer mit blutiger Schürze, Matthias Zelazko als eifriger Polizist, Percy von Tomei als Lehrer, der wortreich die hehre Menschlichkeit und "antike Größe" hochhält, Reto Ziegler als katzbuckelnder Bahnhofsvorsteher und Caroline Felber als biedere Frau Ill, bringen die Gefühlszwiespälte und Gewissensnöte der korrumpierbaren Kleinstädter überzeugend auf die Bühne. Das Groteske kommt im Auftritt von Reto Ziegler und Matthias Zelazko als identisch kostümiertes Eunuchen-Duo Koby und Loby zum Vorschein, die mit Blindenstock umhertasten und synchron wie aufgezogene Papageien reden.

Roswitha Frey