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Fräulein Julie - Knisterndes Machtspiel der Geschlechter

Die Uhr tickt unaufhörlich. Diener Jean poliert mit stoischer Miene die Stiefel seines Herrn. Die Magd Kristin rührt mit gleichmässigen Bewegungen in einem Topf. Auf dem kleinen Balkon kniet die Tochter des Grafen, liest in Rilkes "Weise von Liebe und Tod", neben sich einen mit schwarzem Tuch verhüllten Vogelkäfig. Schon in der ersten Szene macht sich eine seltsam aufgeladene Atmosphäre breit in dieser fatalen Dreiecksgeschichte. Als Drama um Liebe, Lust und Begehren und eine unheilvolle Affäre inszeniert Verena Buss August Strindbergs 1888 erschienene Tragödie "Fräulein Julie" zum Auftakt der neuen Saison der Helmut Förnbacher Theatercompany in der Theaterhalle im Badischen Bahnhof Basel: ein Stück, mit dem der schwedische Schriftsteller im prüden 19. Jahrhundert einen Skandal auslöste und die Zensur auf den Plan rief.


Eine Holzbank, ein langer Holztisch, eine Vase mit Flieder, eingegrenzt durch rot-weisse Absperrbänder, bilden den Raum, in dem sich dieses aufgeheizte Beziehungsdrama abspielt, ein Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau, Domestik und Adeliger. Regisseurin Verena Buss setzt Videobilder ein, lässt das Gesicht der Titelheldin in Übergrösse an die Wand projizieren, zeigt die junge Frau auf einer Wiese, an einem Tümpel. Und sie verwebt die Geschichte der unglücklichen liebestrunkenen Julie, die aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen will, mit Rilkes Erzählung "Die Weise von Liebe und Tod", die sie mit klangvoller Stimme rezitiert.

Mit wilder Lockenmähne und schwarz-weissem Cocktailkleid erscheint Joséphine Esskuche in der Titelrolle des adeligen Fräuleins, das sich auf dem Gut amüsieren will. Vor allem fühlt sie sich zum Diener Jean hingezogen. Herausfordernd, verführerisch, ein lebenshungriges, von Gefühlen zerrissenes Mädchen aus der Oberschicht, das die gesellschaftlichen Konventionen sprengen will, so gibt die junge Freiburger Schauspielerin die Julie. Sie trinkt Bier aus der Flasche, steigt auf den Tisch, befiehlt dem Diener, ihren Schuh zu küssen, mit ihr nachts im Park zu tanzen. In der knisternden Stimmung dieser langen Nacht spielt sie mit dem Feuer, indem sie Jean ihren hochmütigen Standesdünkel, ihre verlockende Anziehungskraft und ihr aufreizend sinnliches Wesen hautnah spüren lässt.


Falk Döhler spielt den Diener Jean mit selbstbewusster Männlichkeit: smart, athletisch, gegeltes Haar, schwarze Jacke, weisses Unterhemd, ein Mann, der um seine Ausstrahlung weiss und gespalten ist zwischen Pflichtbewusstsein und Respekt als Untergebener und der Versuchung, eine verbotene Liaison mit der Tochter des Hauses einzugehen. "Knecht bleibt Knecht", wirft sie ihm herablassend hin, er nennt sie in der Hitze des erotischen Gefechts ein "Flittchen", das sich nicht standesgemäss zu benehmen wisse.

Wie sich beiden über alle Standesunterschiede hinweg annähern, wird zum knisternden Machtspiel. Zwischen dem Liebespaar steht Sandra Schaub als Jeans Verlobte, die Dienstmagd Kristin, eine fromme, strenge, zugeknöpfte junge Frau mit Zopf und Schürze, die mit verbitterter Verzweiflung dem Treiben zusehen muss. Tanz, Musik, Alkohol, der Reiz des Verbotenen, der Rausch einer Liebesnacht: Dieser Taumel und das bittere Erwachen wird psychologisch raffiniert und spannend gespielt. Falk Döhlers Jean erzählt von hochfliegenden Träumen eines eigenes Hotels am Comer See, er will mit Fräulein Julie fliehen. Sie ist zerrissen in ihren Gefühlen, Illusionen und Sehnsüchten. Am tragischen Schluss sieht man Julie auf dem Balkon und Jean wienert unerbittlich die Stiefel des Grafen: ein Bild, das haften bleibt nach diesem hochemotionalen Stück.