Das Förnbacher Theater zeigt im Badischen Bahnhof in Basel das Demenz-Drama "Der Vater".
André steht am Fenster und blickt hinaus. Auf Häuser eines Wohnviertels, auf die Straße, in den Himmel. Eine Außenwelt, die ihm mehr und mehr entgleitet. "Mit mir geschehen seltsame Dinge, als ob ich kleine Löcher im Kopf habe", beschreibt er seinen Zustand, "ich habe das Gefühl, dass ich alle meine Blätter verliere." André ist 80, Witwer, lebt allein in einer Pariser Wohnung und ist an Alzheimer erkrankt. Es berührt zutiefst, wie Helmut Förnbacher in der Schweizer Erstaufführung des preisgekrönten Demenz-Dramas "Der Vater" von Florian Zeller im Förnbacher Theater im Badischen Bahnhof Basel diese Titelfigur spielt: eine große Rolle für einen großen Charakterdarsteller, die ein Höchstmaß an Feingefühl verlangt.
Mit größtmöglicher Sensibilität fühlt sich Helmut Förnbacher in diesen Mann hinein, der spürt, dass er zunehmend die Orientierung, das Gedächtnis, den Realitätssinn verliert. Diesen schleichenden Prozess lässt Förnbacher in seiner nuancierten Darstellung des André spürbar werden. In seinem Gesicht, seinen Gesten spiegelt sich die zunehmende Verwirrtheit, die Trauer, Hilflosigkeit, Angst und das bange Gefühl, wenn er nicht mehr weiß, ob er in seiner Wohnung ist und wer die Menschen um ihn sind. Bei allen schleichenden Veränderungen, bei allem Zerfall, den André zuerst nicht wahrhaben will, bewahrt er in Förnbachers bewegendem Spiel aber doch eine berührende Würde. Er versucht, den anderen etwas vorzuspielen, behauptet vor der Pflegekraft, er sei Stepptänzer und tanzt mit dem Garderobenständer.
Es beginnt damit, dass er Dinge verlegt, seine Uhr sucht und seine Pflegehilfe verdächtigt, sie gestohlen zu haben. "Ich komme noch gut alleine zurecht", versucht André verzweifelt, so zu tun, als brauche er keine Hilfe. Seiner Tochter wirft er vor, hinterhältig und herzlos zu sein und nur auf sein Erbe zu spekulieren. Wie sich in diesem Stück die Ebenen von Realität, Einbildung, Verwirrung, Irrealität und das Spiel mit Identitäten vermischen, setzt die Regisseurin Verena Buss vielschichtig und psychologisch subtil um. Die Figuren erscheinen so, wie André sie sieht, aus der Perspektive des Vaters, so dass immer in der Schwebe gelassen wird, was nun Wirklichkeit, was Wahn ist, welche Figur die reale Tochter, der reale Schwiegersohn, die reale Pflegekraft ist oder ob es Gestalten aus der desorientierten Sicht von André sind.
Surreales spielt hinein, wenn der Vater in Pyjama und Morgenmantel mit einem Koffer auftaucht und mit einem Globus spielt. Verena Buss hat für diese verschachtelten Szenen einen Raum geschaffen mit wenigen Möbeln, einem Sofa, zwei Stühlen, und sie setzt ein Video und Fotoprojektionen von Häusern, Straßen, Himmel und Natur ein, als Fenster zur Welt draußen, die sich für André mehr und mehr auflöst. Meditative Musik von Arvo Pärt begleitet die Szenen, in denen die Hauptfigur stetig präsent ist.
Glaubhaft in den inneren Konflikten und emotional intensiv verkörpert Kristina Malyseva die überforderte Tochter Anne, die sich aufreibt zwischen der Sorge um ihren Vater und den Schuldgefühlen, wenn sie ihn allein lässt. Percy von Tomei gibt den kaltschnäuzigen Ehemann Pierre, der mit dem dementen Schwiegervater nicht umgehen kann und ihn ins Heim bringen will. Die anderen Figuren, Lea-Sina Bühler als junge empathische Pflegerin Laura, sowie Kristina Nel und Lothar Hohmann in wechselnden Identitäten, spiegeln eindrücklich, was sich im Innern des Hauptprotagonisten abspielt.
Erschütternd und traurig sind die Szenen am Schluss, in denen der alte Mann, umgeben von Krankenpflegern in weißen Kitteln, wieder zu einem hilflosen Kind wird und sich schutzbedürftig mit einer weißen Decke zudeckt. Wie das Thema Demenz, das immer mehr Menschen in der älter werdenden Gesellschaft betrifft, in dichten Theaterbildern umgesetzt wird, geht unter die Haut.
Roswitha Frey