von Dr. Peter Zihlmann
Grosses Theater im Kleinbasel
Gestern noch waren wir lachende, geniessende und nachdenkliche Zuschauer des Theaters im Badischen Bahnhof. Als Helmut Förnbacher in der Theaternacht die Worte in die Nebelschwaden von Trockeneis hauchte: „Ich wusste nun, ich war in seinem Traum“, war das Ende des Stückes Amadeus absehbar. Salieri, der Wiener Kapellmeister, hatte Amadeus Mozart in Verzweiflung und schliesslich in den Tod getrieben, weil er das Genie über sich nicht dulden konnte. Er verfluchte il dio injusto, nimmt Abschied von seinen letzten Freunden, dem Publikum und schneidet sich die Schlagader auf. Nach einigen Momenten der Beklommenheit braust stürmischer Applaus los und die Bravo-Rufe wollen nicht mehr verstummen. Wieder ist vor full house gespielt worden. Alle, Darsteller und Zuschauer, haben diese Bühnentode heil überstanden. Eine temporeiche, magische Vorstellung in politisch unkorrekter Sprache des Amadeus gegenüber seiner Constance und den Koryphäen der Musikwelt war erfolgreich an ihren Schluss gelangt. Das Publikum war spürbar ergriffen. Aber das hatte noch einen andern Grund: Alle Anwesenden wussten, das war die letzte Vorstellung nach 25 Jahren Spielzeit. Der Mietvertrag mit der Deutschen Bahn lief definitiv aus – ein Ersatzraum wurde trotz intensiver Suche nicht gefunden. Die Lichter gingen aus und das Rampenlicht wird nicht wieder aufscheinen. Im Foyer gab es gratis Champagner, Umarmungen zwischen Schauspielern und Zuschauern und feuchte Augen. Das war das Aus.
Heute schon ist das Theater im Bahnhofgebäude Geschichte und wir sind Zeitzeugen dieses Untergangs. Sang- und klanglos ist dieses grosse Kleintheater mit 250 Plätzen verschwunden. Das Theater zerfällt, löst sich auf. Unverzüglich hat der Rückbau, die Zerstörung der Tribüne aus Stahl, der Kulissen begonnen, der Verkauf der Requisiten, der Bilder an den Wänden. Das Ensemble, rund 50 talentierte Künstler, wird in alle Winde zerstreut werden, die Organisation zerfallen, das Ganze dem Vergessen anheimgegeben werden. Ratlos bleibt die Schar der Zuschauer zurück. Wo wird sie künftig so texttreu und bündig aufs Wesentliche konzentriert, Theaterstücke erleben von Shakespeare (Julius Caesar), Molière (Der Geizige), Schiller (Maria Stuart), Goethe (Faust), Carlo Goldoni, August Strindberg, Arthur Miller, Tennessee Williams, Friedrich Dürrenmatt und den Franzosen wie Eric Emmanuel Schmitt, Florian Zeller, Yasmina Reza (Kunst), Ferdinand von Schirach (Terror)und von vielen anderen. Wo wird sich so viel Talent, Spiellust und Herzblut um ein Privattheater wieder bilden können? War es unumgänglich dieses Theater kaputt zu schlagen? In dieser mit Mäzenen gesegneten Stadt der Kultur, der Life Science und des Geldes? In mir wächst ein Gefühl, mehr Empörung als Trauer. Es muss eine Entwicklung geben, die zu diesem Ende geführt hat. Ist alles nur auf eine gewisse Gleichgültigkeit der Basler Gesellschaft zurückzuführen? Wir können uns die Frage stellen, wie die Situation wäre, wenn ein Mäzen auftauchte und einen Theaterraum zur Verfügung stellte. Etwas in der Art gab es 1967 in Basel als die Bevölkerung und Private für Picasso-Bilder Fr. 8,4 Mio aufbrachten, um deren Verkauf zu verhindern. Die Liebesgeschichte zwischen Gigi Oeri und dem FCB ist bekannt: Was wäre der FCB ohne sie? Heute wäre eine derartige Intervention nicht einmal für das Stadttheater denkbar; es bewegt die Gemüter der Basler zu wenig.
Nicht Zuschauerschwund, sondern der mangelnde Raum für dieses Theater, etwa 500 m2, führte zum unnatürlichen Theatertod. Ist er auf zu wenig Wertschätzung für Schauspielkunst zurückzuführen? Dieses Theater wird uns fehlen. Stille Erschütterungen wirken sich oft später aus. Noch immer werden an subventionierten Bühnen Stücke der Klassiker entkernt und der ursprüngliche Text verschwindet. Sie zertrümmern ganze Gipskolosse, beschmieren sich mit Blutfarbe, schreien und zappeln nackt auf der Bühne herum. Aber das macht kein gutes Theater aus, so wie das Förnbacher Theater es immer geboten hat.
Früher oder später fallen wir alle aus der Welt heraus. Aber nicht ohne Widerstand und Schmerz sollte dies geschehen, nicht ohne Hoffnung, dass wir alle zu den guten Quellen der Theaterkunst zurückkehren werden, früher oder später.
Dr. Peter Zihlmann
(veröffentlicht in der Kleinbasler Zeitung)